Warum die ÖVP-Forderungen zur Reform der Wehrpflicht Schwachsinn sind

Zuerst einmal eine Begriffsdefinition: Als „Schwachsinn“ wird umgangssprachlich oft etwas bezeichnet, was falsch ist oder überhaupt keinen Sinn ergibt. Ersteres sind aber in Wirklichkeit „unwahre Behauptungen“, Zweiteres sollte man korrekterweise als „Unsinn“ bezeichnen. „Schwachsinn“ ist hingegen eine Mischung aus Trivialitäten, einigen sinnvollen und einigen sinnlosen Versatzstücken. In diesem Sinn kann man das heute von der ÖVP vorgelegte Papier mit „Reformforderungen
zur Wehrpflicht NEU“
eindeutig als Schwachsinn bezeichnen. Was legt uns die ÖVP auf viereinhalb groß beschriebenen Seiten vor? Zuerst einmal die Trivialitäten:

  1. Die Bundesverfassung wird eine halbe Seite lang zitiert. Wer die Verfassung lesen will, kann das auch ohne „Reformpapier“ tun.
  2. Das Regierungsprogramm wird eine halbe Seite lang zitiert. Wer das Regierungsprogramm lesen will, kann das auch ohne „Reformpapier“ tun.
  3. Der Bericht der Bundesheerreformkommission wird eine halbe Seite lang zitiert. Wer den Bericht der Bundesheerreformkommission lesen will, kann das auch ohne „Reformpapier“ tun.

Mit diesen Trivialaussagen wird also ein Drittel des Papiers zugemüllt. Welche Reformschritte kann man aus den überlangen Zitaten ableiten? Keine. Sie beschreiben einfach nur den Status Quo. Sicher fordert die ÖVP auch ein paar sinnvolle Dinge:

  1. Weniger Systemerhalter
  2. Anrechenbarkeit der Ausbildung
  3. Gemeinsame Übungen von Heer und zivilen Katastrophenschutzeinrichtungen

Das war’s auch schon mit den ernstzunehmenden Reformideen der ÖVP. Der einzige Punkt, der sich wirklich auf das Heer oder den Zivildienst bezieht, betrifft die Reduktion der Systemerhalter. Es gibt schon noch ein paar „Reformforderungen“, aber die sind durch innere Widersprüche oder andere Formen der Inhaltsleere gekennzeichnet:

  1. Die Soldaten sollen ihre eigene Verwendung wählen können, aber das soll die Heeresführung entscheiden
  2. Die Systemerhalten sollen nur dort eingesetzt werden, wo sie spezielle Kompetenzen mitbringen, aber das soll nur nach Möglichkeit geschehen
  3. Die Soldaten sollen ein persönliches Fitnessprogramm während und nach ihrer Zeit beim Heer umsetzen, also unabhängig von militärischen Standards
  4. Ganz Österreich soll über den Wehrdienst flächendeckend mit erster Hilfe versorgt werden, obwohl Zivildiener und vor allem Frauen keine solche Ausbildung bekommen
  5. Das Milizheer soll eine langfristige Urlaubsplanung sicherstellen, was insbesondere unsere militärischen Gegner freuen wird
  6. Das Heer soll die Integration aller neu eingebürgerten Ausländer übernehmen, obwohl Zivildiener und Frauen gar nicht zum Heer gehen

Dass diese „Reformforderungen“ nichts mehr als halbdurchdachte Werbegags sind, erkennt man sehr schnell. Aber die ÖVP will ja ausserdem kein zusätzliches Geld für das Heer ausgeben. Das ganze Wunschkonzert mit Einsatz nur nach Kompetenz, persönlichem Fitnessprogramm und dergleichen soll also in den überalterten Kasernen aus dem 19. Jahrhundert und mit den überforderten Ausbildnern passieren, die wir jetzt schon haben. Kein Wunder, dass die ÖVP diesen Schwachsinn vor der Volksbefragung versteckt hat. Selbst die überzeugtesten Wehrpflichtanhänger hätten es nach der Lekture dieses Papiers vor lauter Lachkrämpfen nicht zum Abstimmungslokal geschafft. Aber es wird noch schlimmer. Zur Krönung erklärt die ÖVP auch noch das Umsetzen alter Analysen zu ihrem neuen Reformkonzept. Die Reformideen der ÖVP bestehen also darin, die alten Analysen für sakrosankt zu erklären. Nicht nur der Status Quo wird tabuisiert, sondern auch das Nachdenken über den Status Quo.

  1. Was 2011 im Ministerrat analysiert wurde, muss Grundlage der „Reform“ sein
  2. Die Reform soll nur innerhalb der Koalition diskutiert werden
  3. Alle Pilotprojekte sollen eingestellt werden

Der letzte Punkt ist besonders aufschlussreich, weil im Widerspruch zu den anderen „Reformforderungen“ (soweit diese überhaupt etwas Konkretes aussagen). Die Pilotprojekte bestehen ja gerade darin, die Anzahl der Systemerhalter zu reduzieren und die Rekruten nur nach ihrer Eignung einzusetzen. Das will die ÖVP angeblich erreichen, aber die ersten Schritte in diese Richtung sollen sofort beendet werden. Das Nachdenkverbot der letzten drei Punkte widerspricht nicht nur den Reformforderungen der ÖVP, es widerspricht überhaupt der Idee einer Reform. Das ganze Reformpapier ist ein anti-Reformpapier, in dem nicht einmal die anti-Reform logisch widerspruchsfrei formuliert wird. Das Integrations-Wellness-Hotel, das nicht mehr kosten darf als eine Jugendherberge, wird es nicht spielen. Und die flächendeckende Integration samt wiederverwendbaren Kompetenzen und Erste-Hilfe-Fitness werden wir auch dann nicht bekommen, wenn die damit offensichtlich überforderten Strukturen beim Heer das leisten könnten. Ganz einfach deswegen, weil auch bei der Wehrpflicht „Neu“ Zivildiener und Frauen gar nicht mitmachen. Was bringt es dem Kind der alleinerziehenden Mutter, dass jetzt alle Rekruten erste Hilfe leisten können? Gar nichts, weil die Mama war ja nicht beim Heer. Also nur dann schwer verletzen, wenn ein Mann in der Nähe ist, kann man dem kleinen Kind nur raten. Und wie genau stellt sich die ÖVP die Anrechenbarkeit der „Kompetenzen“ bei der Polizei vor? Wird der zukünftige Polizist dann nicht mehr mit Frauenquoten bei der Polizei konfrontiert? Müssen Frauen dann auch genauso schnell laufen können wie Männer, damit sie bei der Polizei arbeiten können? Müssen Frauen in Zukunft auch den Präsenzdienst gemacht haben, bevor sie sich bewerben? Die Doppelmoral der ÖVP wird so richtig offenkundig, wenn man die Reformideen mit der Frauenpolitik vergleicht. Dann erkennt man, was für eine echte Reform wirklich fehlt:

  1. Gleiches Geld für gleiche Arbeit: Marktkonforme Bezahlung von Rekruten und Zivildienern
  2. Schutz vor Mobbing: Sofortige Entlassung von respektlosen Ausbildnern
  3. echte Wahlfreiheit: Gleiche Dauer für Präsenzdienst und Zivildienst, freie Wahl durch Wehrpflichtige
  4. Gleichstellung von Mann und Frau: Wehrpflicht für beide Geschlechter, gleiche Kriterien für Untauglichkeit und Karriere beim Heer

So würde eine echte Reform aussehen. Wenn die ÖVP meint, dass die Volksbefragung ein „immer so weiter wie bisher“ bestätigt hat, dann irrt sie. Wenn die ÖVP meint, dass wir uns mit schwachsinnigen „Reformideen“ hinhalten lassen, dann irrt sie ebenso. Vielleicht ist diese Regierung zu keiner echten Reform fähig. Aber die Regierung kann man ja abwählen.

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